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Oliver Behnssen
Der wichtige Abgrund
 
    Gegessen habe ich
Stahlfleisch, Hechtfleisch, Nebel-
fleisch, Doppel- und Kalbfleisch.

Aus der Hand gefallen sind mir
die Werkzeuge des Chamottes,
der Pharmazeutik, des Rittersporns
und der gefühlsaktiven Erpressung.
 
    Bacchantisch zerquetscht
habe ich die Aeppelfrau
und das Ergebnis von Wittgenstein's
logisch-philosophischem Traktat:
sagen kann ich, was ich
nicht denken kann, bachmanntisch.
Umkreist habe ich
meine verdrießlich piepernde,
meine lyrische Nacht.
 
 
    Von den Lastern der Anderen,
aufrichtig, fett und kokett,
habe ich leider immer
nur redlich geträumt:
die sinnige Bereitschaft
von großen Fruchtsirupen
breitete sich über den Abgrund
und, listen, puto!
der Beifall der Faune,
donnernd und wichtig.
 
    in: Die Horen. 1973 [2]



Gunhild Bohm
Dame hinter den Bergen
INGEBORG BACHMANN ZUM GEDENKEN
     
    Wer hat in meinem Gehirn genächtigt?
Wer hat mit meiner Zunge gesprochen?
Wer hat geschrien aus mir?

Erzählt mir noch einmal das Märchen
- die schneeweiße Dame, die hinter den Bergen wohnt -
ich bitte euch!
    Auch nach Mitternacht
will keiner meinen zweiten Kopf sehen
und mir seine Seele zeigen

    Könnte ich mich verirren im Schlaf!...

Ich will mich ja hinlegen
auf Gras und Asphalt, offenäugig
und mit der Welt übereinstimmen

Eure Fangarme halten mich
 
 
    (Keiner will
selbst nach Mitternacht nicht...)
    bis zu einer Wahrheit über uns, über das Gras
    von der keiner träumt, die keiner will

    und bleiben
    in: Die Welt. 21. Sept. 1974 [3]



Günter Grass
Todesarten
 
    Persus, schweig
keinen laut, Beteigeuze,
brecht auf,
ihr schneefelder
im zeichen
des großen bären:
eure schwester
ist heimgekehrt
aus der fremde,
zum wort,
das war,
ehe ihr wurdet,
zu millionen sternen,
umschlossen
von einem wort.
 
    in: Die Zeit. 26. Okt. 1973 [4]



Peter Hamm
"Ein Toter bin ich, der wandelt"
Zur Erinnerung an Ingeborg Bachmann
 
    Die Beute von wem in lauten
Löwenrachen (Bocca di Leone)?
 
       
    Arme Seele aus dem Gailtal, le Hibou,
huscht über rissige Treppen,
geborstene Mauern entlang, Katakomben
hinab, der der Präfekt versagte
den Schatten der Pyramide
wo Waiblinger harrte, Keats sie rief -
 
     
   

Am Campo di Fiori unverwandt
wird Giordano Bruno verbrannt.
Allen bekannt, sagt der Elefant.
Der Elefant am Pantheon
sagt: Hohn, nur Hohn
ist des Leidens Lohn.

    Die Beute von wem in trocknen Tiberbett,
in dem die arme Kärntnerseele streunt?
 
       
    Das Vaterland holt den verlorenen Sohn,
eine abgebrannte Frau, heim
in die Grube
 
       
    neben dem Rollfeld.  
     
    in: Der Balken. 1982 [5]



Ernst R. Hauschka
Zum Tode Ingeborg Bachmanns
     
    Du hast sie gesammelt:
Schränke voll,
deine Aussteuer.
 
    In leichteren Zeiten, als das noch anging
und die Metapher auf ihren Freipaß pochte,
wäre dir (rettend) ein Hörspiel gelungen,
in dem jener typisch doppelbödige Trödler,
durch dich vergöttert, alter Todesarten verliehen
neue aufgekauft hätte.
 
    Bedrängt von.
Keine kam dir zu nah.
So scheu warst du nicht.
Wichsende Knaben hatten den Vorhang gelöchert:
jeder sah alles, Seide und chemische Faser
die jüngste Kollektion, bezügliche Zitate.
 
     
    Todesarten: außer den windigen Kleidchen
diese probieren und diese;
die letzte paßte.
(Als Ingeborg Bachmann starb)
 
     
    in: Deutsche Tagespost. 20. Okt. 1973 [6]



Marie Luise Kaschnitz
Via Bocca di Leone
  INGEBORG BACHMANN ZUM GEDÄCHTNIS  
     
    Wohnung, dieses Versteck
Mit keinem Fenster
Zur Straße hin
Via Bocca di Leone
In der doch eines Nachts
Der Schläger stand
Ausholte zum Fausthieb
 
    Ängste dir zugemutet
Gewitter und auf der Terrasse
Der riesigen kiesbedeckten
Die Schreie der räudigen Katzen
Ihre wahnwitzigen
Sprünge im Oleander
 
 
    Und Krankheiten rätselhafte
Taubwerden der Glieder
Schwinden der Sinne
Nacht vor den Augen
Plötzlich
 
     
    Hinter der Türe
Dein leichter Schritt
Danach
Bei weißen Kugellampen Bücherreihen
Die Umarmung voll Freude
 
       
    Dein zierlicher Salon
Dein rosa und weißes Bad
Schützte dich alles nicht
Vor den zehrenden Stränden
Vor
Den Monstren von Bomarzo
 
       
    Aber den Bergen zu
Am milchigen Schwefelwasser
Unter wehendem Eukalyptus
Erklärtest du präzis
Den Denker Wittgenstein

Die Männerschuhe störten
dich im Schrank

Aber du konntest nicht
atmen ohne Liebe
 
       
    Gestorben nicht ist dein Rom
Dieses bestimmte
Voller Blumenstände
Voller Friseure
Mit dem Holzkohlenfeuergeruch
Winterlich sotto casa
 
       
    Manchmal sehe ich dich
Noch unversehrt

Da stehst du
Da gehst du umher
Kein Glas in der Hand
Kein Wort auf den Lippen
 
       
    Schutzflehende immer
"dein Herz erstarrt
in schneeiger Stille" ...
 
     
    in: Süddeutsche Zeitung. 12. Okt. 1974 [7]



Kurt Klinger
Keine Begegnung mit
Ingeborg Bachmann
       
    Die Telefonnummer bleibt unbenützt.
Ich habe ihre Gedichte gelesen,
"Kein Sterbenswort, ihr Worte", "Böhmen liegt am Meer",
ich habe ihre Sterbensworte gelesen,
ein schöner Sarkophag, in dem sie hart liegt,
aufgebahrt als Kardinal mit Migräne noch im Tode
und vom letzten Kuß verletzter Wange.
    Sie würde vielleicht sagen: Es könnte sein,
daß wir uns schon einmal gesehen haben sollten.
Oder: Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht, das weiß ich nicht,
was immer Sie mich fragen, ich weiß es nicht.
Und ich würde sie fragen: Leben Sie denn, Frau Bachmann?
Und sie würde sagen: Das weiß ich noch nicht.
         
    Die Telefonnummer ist unbenützt.
Der Sarkophag bleibt geschlossen,
damit sich die Luft in ihm nicht verdichtet
und niemand sie sieht: die Zähne im eigenen Hals,
um das eigene Blut in sich zurückzutrinken
und beides zu haben, die nassen Lippen des Henkers
und die Blässe des Opfers.

Aus Wundmalen ein Gedicht.
     
    Wenn über den Gärten das heiße Licht entsteht,
weiß ich: jetzt schreit sie auf -
ein Sonnenstrahl hat sie getroffen.
    in: Die Horen. 1972 [8]



Information zu dieser Seite: Zeichenerklärung:NavigationshilfeNavigationshilfeForum-LinkForum-Seite(n)Externer LinkExterner Link
 
[1] Foto: Ingeborg Bachmann 1969 in Rom;© Renate von Mangoldt/LCB.
[2] © Die Horen. Zeitschrift für Literatur, Grafik und Kritik. Wilhelmshaven 1973, Jg. 18, Heft 4, S. 62.
[3] © Die Welt. Hamburg, Nr. 220 vom 21. September 1974.
[4] © Die Zeit. Hamburg, Jg. 28, Nr. 44 vom 26. Oktober 1973.
[5] In: Der Balken. Hanser-Verlag, 1982.
[6] © Deutsche Tagespost. Würzburg, Nr. vom 20. Oktober 1973.
[7] © Süddeutsche Zeitung. München, Nr. 236 vom 12./13. Oktober 1974, S. 85.
[8] © Die Horen. Zeitschrift für Literatur, Grafik und Kritik. Wilhelmshaven 1972, Jg. 17, Heft 1, S. 110-111.
    © Ricarda Berg, erstellt: November 2001, letzte Änderung: 07.03.2024
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg