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AM GRABE EINER UNBEKANNTEN FREUNDIN
    Jean Améry zum Tode von Ingeborg Bachmann [1]
Nichts, was die literarische Welt beträfe, habe ich hier noch zu sagen. Andere, Berufenere wohl auch, haben ja längst befunden. Analysen, Wertungen wurden vorgelegt, die gehen mich nichts an. Auch über das Schreckliche und zugleich auf unheimliche Weise literarisch Stimmige dieses Todes wurde hinlänglich geredet - und über das spukhafte Faktum, daß die Verstorbene an einem Buch des Titels Todesarten arbeite. Verstattet sei mir darum ein ganz persönliches Abschiedswort, dessen Subjektivität vielleicht durch eine recht eigentümliche Verkettung ein gewisses objektives Gewicht bekommt.
Jahrelang wußte ich nur wenig von dieser Schriftstellerin. Da und dort ein Gedicht, ich blieb niemals unbewegt beim Lesen. Dann ein ungewöhnlich gescheiter philosophischer Aufsatz in einem Sammelband über den ihr und mir gemeinsamen Landsmann Ludwig Wittgenstein. Malina las ich nur ganz kursorisch, wie so manches, allzu vieles anderes auch. Man sagt sich: gut, sehr gut! Das will ich mir bestimmt gründlich vornehmen, nächstens, wenn ich ein wenig Zeit habe. Und das Nächstens kommt niemals. Der Name allein war mir präsent und das noch nicht begründbare Gefühl des Wertes - bis mir der Novellenband Simultan in Jean Améry
    die Hände fiel. Da konnte freilich vom "Nächsten" nicht die Rede sein. Jean Améry
Das Buch mußte gelesen werden, genau, in einem Zuge. Das Entzücken, das die ersten Seiten schon geweckt hatten, hielt an und an, hielt die geisterhaft dem Buche entsteigende und auf eine längst nicht mehr erwartete Weise mich betroffen machende österreichische Melancholie. Jählings war Ingeborg Bachmann da für mich, war mehr als ein unbestimmtes Wertgefühl. In ihr rief mich weich-kraftvoller Stimme die seit Jahren verlorende Heimat mich an. Eine österreichische Literatursprache tauchte hervor aus dem Bundesdeutsch, sie hatte nicht nötig, sich im breiten Dialekt quäkend vernehmen zu lassen. Der Trambahnschaffner hieß "Kondukteur", der Gehsteig wurde "Trottoir" genannt, wie einstens daheim, und ein kleines Bauernhäuschen war eine "Keusche". Seit Joseph Roth, der von Rössern gesprochen hatte, nicht von Rossen noch von Pferden, hatte ich dergleichen nicht wieder vernommen. Sprachäußerliches. Aber dahinter stak die österreichische Trauer der Hofmannthalschen Terzinen und jenes Heurigenliedes Er wenn's aus wird sein, das Karl Tschuppik sich hatte ins Grab nachspielen lassen. Der da und dort zu neu glänzende Firnis eleganter Weltläufigkeit fiel ab vor meinen Augen.
Eine Heimatdichterin? Um Gottes willen, nein! Eine Dichterin der Heimat, und eine Verszeile Theodor Storms verfolgte mich beharrlich: "Hör mich, denn alles andere ist Lüge. / Kein Mensch gedeihet ohne Vaterland." Aber seit Jahren lebte sie im Ausland, in der Bundesrepublik zuvor, in Rom danach. Man muß sich wohl expatriieren, um die Heimat zu finden. Das Gefühl - wie nenne ich's doch - nun ja, man darf der Abgebrauchtheit gewisser Wörter sich nicht schämen, um bei der Wahrheit zu bleiben - das Gefühl der Schicksalsgemeinschaft ließ mich nicht los, wiewohl sie und ich doch verschiedenen Generationen angehörten und sie im Vergleich zu mir das Brot der Fremde unter nicht weiter dramatischen Umständen gegessen hatte. Es war kein Irrtum: denn alsbald stieß ich an jene Stelle, an der sie von einem in "Belgien lebenden Österreicher mit französischem Namen" sprach, der etwas über die Tortour geschrieben hatte. Sie habe erst dem Mann schreiben wollen, habe es aber dann unterlassen, denn, so fragt sie sich: "Was hätte ich ihm schreiben können?".
Und nun senkte sich die Verbindung bereits in tiefste Schichten ein. Von meiner Seite aus wurde sie zur Solidarität. Als jemand den Novellenband Simultan mit rohem Übelwollen besprach, war es nun an mir, der Verfasserin schriftlich freundliche Worte sagen zu wollen. Auch mein Schreiben unterblieb. Ich ließ mich nur, ausgleichend, als Rezensent vernehmen, in eben diesem Blatt. Ingeborg Bachmann reagierte nicht, sie hatte anderes zu tun. Ich selber, wissend um die gemeinsame Fron und Servitude, hatte auf ein Zeichen gar nicht gewartet. Nur: inskünftig alles nachzulesen, was Ingeborg Bachmann je geschrieben hatte, nahm ich mir vor. Vorhaben.
Dennoch hat sie seither nicht aufgehört, mir nahe zu sein. Irgendeinmal wirst du schon wieder nach Rom kommen, sagte ich mir. Die Dichterin hatte mich immerhin grüßen lassen durch junge Leute eines österreichischen Fernsehteams, das sie und mich im Abstand von wenigen Wochen interviewt hatte. Irgendeinmal wirst du versuchen, sie anzurufen, und, wenn sie geneigt ist, ihr vieles sagen. Man soll nichts aufschieben, so gering ist die Zeit, die einem gegönnt ist. Es kam nicht zur Begegnung. Ingeborg Bachmann starb einen schrecklichen Tod. Und eine unbekannte Freundin ist es, der ich jetzt meine Worte ins Grab nachrufe. Zu werten, steht mir schlecht an. Aber der subjektiv gefühlten Evidenz, daß hier eine sehr große Dichterin deutscher Sprache und österreichischen Stammes uns verließ, darf ich doch wohl zum Ausdruck geben. Ich sage Dichterin, ganz ausdrücklich, und nicht: Schriftstellerin oder gar abscheulich zeitgemäß Literaturproduzentin. Sie hatte es nicht nötig, irgendetwas zu erklügeln, sich Theorien abzuquälten, Trends zu wittern. Die Begabung kam auf für jegliche literarische Doktrin. Wer nicht ganz taub und blind war, der mußte hinter dem "Text" den Menschen sehen, auf den es ankommt allemal. Ich habe nicht aufgehört, die geistige Gestalt dieser Frau vor Augen zu haben, sie ist mehr und anderes als der bare "Text". Jetzt, zu spät, werde ich alles nachholen, will keine Zeile versäumen.
   
    Jean Améry: Werke - im Verlag Klett-Cotta



ICH DENKE AN SIE WIE AN EIN MÄDCHEN
Heinrich Böll zum Tode von Ingeborg Bachmann [2]
  Niemand sollte, denke ich, Ingeborg Bachmanns fürchterliche Todesart allzu hurtig mit ihrem geplanten Romanzyklus "Todesarten" in Verbindung bringen und in ihrem Werk Anspielungen auf und Ahnungen über einen Feuertod suchen.
  Man hat, wie es zur Grausamkeit der literarischen Szene zu gehören scheint, ohnehin den Schmerz und die ebenso hohe Abstraktheit wie Sinnlichkeit ihrer Poesie zu sehr literarisiert. Man hat aus der Anrufung den Ruf, der zum Schrei wurde, nicht hören wollen, man hat Ingeborg Bachmann selbst zur Literatur gemacht, zu einem Bild, einem Mythos, verloren in
Heinrich BöllHeinrich Böll

Zum Tode von Ingeborg Bachmann
und an Rom, diese österreichische Protestantin, die als Mädchen auszog, die höchsten intellektuellen Abenteuer zu suchen, sie bestand und dann anfing, den Großen Bären und die Heiligen Leonhard, Antonius, Vitus, Rochus anzurufen ("weil du gelitten hast").
Daß in der Ikonisierung einer lebenden Person eine schrittweise Tötung versteckt sein kann, müßte gerade an ihr deutlich werden. Ich mag die Art ihres Todes nicht symbolisieren, mythologisieren oder gar eine metaphysische Schleife daraus winden. War Ingeborg Bachmann nicht gefangen in dem Bild, das andere sich und andere aus ihr gemacht haben? Ich weiß nur, daß sie immer beides war: immer da und immer abwesend; da, wenn einer sie brauchte, und dann war der großen Dichterin ihre Zeit keineswegs zu kostbar, etwas ein Zimmer zu besorgen oder in halb Italien nach einem geeigneten Hotel zu telephonieren; mancher Versprengte und polizeilich Gesuchte aus der Berliner Studentenbewegung wird sich hoffentlich ihrer Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft erinnern.
Denn sie war eine Dichterin und damit beides: engagiert - und das andere. Und sie war beides ganz: mit leiser Stimme und doch voller Energie, wie wenn sie Gedichte vorlas. Hinter ihrer habituellen Nervosität, einer Art ständiger Gebrochenheit, die immer den Zustand "kurz vor dem Zusammenbruch" signalisierte, verbargen sich Zähigkeit, Kraft, auch Direktheit, die spontan zu Freundschaft und Hilfsbereitschaft wurde, und sie selbst hat am wenigsten irgend etwas "literarisiert", wenn ihr auch manches unglückselig geriet oder ausging. Wie jeder andere Mensch war auch sie auf Glück und Heil aus, nicht auf Unglück und Unheil, wie es ihr reichlich zuteil wurde.

Und sie war noch etwas, das nicht selbstverständlich ist: mutig. Es gehörte viel Mut dazu, 1953, nachdem im Jahr davor Paul Celan auf die peinlichste Weise mißverstanden worden war, vor der Gruppe 47 aus der "Gestundeten Zeit" zu lesen; indem sie ihr ihren Preis verlieh, widerlegte die Gruppe 47 zum dritten Male (nach Eich und Ilse Aichinger) den Ruf, der ihr fälschlicherweise anhaftete, einer banalisierten Vorstellung von Wirklichkeit anzuhängen. Es gehörte Mut dazu, 1958 dem Komitee gegen Atomrüstung beizutreten, sich 1963 der Klage gegen Dufhues anzuschließen und 1965 die Erklärung zum Vietnamkrieg zu unterschreiben. Man sollte nicht versuchen, diese Art Mut und Engagiertheit aus der großen Dichterin herauszudividieren, denn das eine gehört zum anderen. "Ich mit der deutschen Sprache, dieser Wolke um mich, die ich halte als Haus, treibe durch alle Sprachen". Und hat sich weder in dem einen noch dem anderen Deutschland je auch nur andeutungsweise wohl gefühlt: "Sieben Jahre später in einem Totenhaus trinken die Henker von gestern ihre goldenen Becher aus". Natürlich gibt es da auch genug Klatsch, und gewiß wird der eine oder andere bemerken, sie sei wohl gelegentlich unter ihr Niveau gegangen; ich möchte nur feststellen, daß man Niveau haben muß, um darunter oder darüber zu gehen. Ja, sie war Gott sei Dank nicht "gleichbleibend", sie hatte Blößen, gab sie sich und zeigte sie. Gottes Segen über alle Gleichbleibenden, die ihres Niveaus so sicher sind, daß sie nie drunter und nie drüber geraten.

Das Erstaunlichste an Ingeborg Bachmann war ja, daß diese brillante Intellektuelle in ihrer Poesie weder Sinnlichkeit einbüßte noch Abstraktionen vernachlässigte, und daß sie jenen immer mehr zum Aussatzmerkmal denunzierten großen Komplex, den man Emotion zu nennen pflegt, wieder in den höchsten Rang erhob. Wenn Emotion ungefähr mit Bewegung oder Bewegtheit, Emotionslosigkeit mit Unbewegtheit oder Bewegungslosigkeit übersetzt werden kann, darf ich feststellen: unbewegt war Ingeborg Bachmann nie. In manchen ihrer Gedichte verbirgt sich ein Element, das volksliedhaft hätte werden können, wäre das Volk beider Deutschland und Österreichs bereit gewesen, die liedhafte Bitterkeit anzunehmen.

Hoffentlich werden sich nicht zu viele Lesebuchautoren, Eltern, Erzieher und Nikotingegner dieser schrecklichen Begebenheit mit mahnendem Zeigefinge bedienen: Ingeborg Bachmann, die über einer glühenden Zigarette einschlief. Wir, die wir sie gekannt haben, wissen, daß es nicht Zufall und nicht bloß eine Unart war, und daß es doch nicht "ins Bild gesetzt" werden und noch weniger symbolhaft mit ihrem Leben und ihrem Werk verknüpft werden sollte. Sie war es, die den berüchtigten Spruch "Tapferkeit vor dem Feind" in "Tapferkeit vor dem Freund" umgeprägt hat. Ich denke mit Schmerz an sie, mit Zärtlichkeit und in Freundschaft, und ich denke an die siebenundvierzigjährige Frau wie an ein Mädchen, und ich wehre mich gegen etwas, das leicht gesagt ist: der Tod habe sie erlöst. Nein, diese Art der Erlösung suchte sie nicht; ich würde sie gern selber fragen, ob ich mich täusche.
 
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ABEND MIT INGEBORG BACHMANN 7. X. 69
Hermann Burger [3]
  Abend mit Ingeborg Bachmann 7. X. 69



GRUSS AN INGEBORG BACHMANN
    Hilde Domin [4]
Nichts Schöneres unter der Sonne
als unter der Sonne zu sein.
    An diesem Platze aber, und für Sie alle, möchte ich jetzt schwesterlich derjenigen gedenken, die fast genau vor einem Jahr, am 12. Oktober, auf eine so fürchterliche Weise ihr Leben beendete, Ingeborg Bachmann.
   
Hilde Domin
Hilde Domin
Ich las ein oder zwei Gedichte von ihr noch vor meiner Rückkehr aus dem Exil, und ich war keine 24 Stunden in Deutschland, nachmehr als zwei Jahrzehnten der Abwesenheit, da stand ich schon in einer Hamburger Buchhandlung und verlangte »Die gestundete Zeit«. Ich verlangte ihr Buch und das von Celan, nur den Eich hatte ich schon geschickt bekommen. Ingeborg Bachmann und Günter Eich: das war das Deutschland, zu dem Menschen wie wir zurückkamen. (Marie Luise Kaschnitz lernte ich erst viel später kennen, wie auch
    Böll.) Günter Eich ist suo tempore gestorben, zumindest läßt sich das sagen. Celan ist vorzeitig und freiwillig gegangen, wenn man das »freiwillig« nennt. Ingeborg Bachmann wollte leben, sie gab sich Mühe, am Leben zu bleiben, nach dem dramatischen Unfall.
    Das letzte, was Ingeborg Bachmann zu mir sagte, 1970, als ich sie anrief, im Verlauf der Redaktion von »Nachkrieg und Unfrieden«: »Die Gedichte überstehen«, sagte sie. Wir sprachen über die zeitgenössische Krise der Lyrik. Ingeborg Bachmanns Gedichte, die verfrüht auf die Regale kamen, Klassiker zu Lebzeiten, diese Gedichte haben es in sich, das glaube ich sicher.
    Ich lese Ihnen, zum Schluß, eine Strophe aus dem Gedicht »Früher Mittag«, das sie 1952, sechsundzwanzigjährig, nach ihrer ersten Lesung in Deutschland schrieb:
     
   
»Wo Deutschlands Himmel die Erde schwärzt
sucht sein enthaupteter Engel ein Grab für den Haß
und reicht dir die Schüssel des Herzens.«
    »Ein Grab für den Haß.« Unsere Welt, und gerade auch die in Westdeutschland, ist zur Zeit wieder eine Welt des Hasses, des Fanatismus, geworden: der »Polarisierung«, wie das vornehmer heißt. »Ein Grab für den Haß« verlangte Ingeborg Bachmann. Dieser Ruf wird - und immer von neuem - durch die Jahrhunderte ergehen, in diesem so haßbegabten Lande. Clamour validus, ich grüße Sie, Ingeborg Bachmann.
 
  Autorenportrait: Hilde Domin
  Film: "Ich will Dich - Begegnungen mit Hilde Domin" von Anna Ditges, 2007Empfehlung



bachmann traurig - bachmann froh - in berlin und anderswo
    Elfriede Gerstl [5]
    ungenauer und subjektiver als aktuelles tagebuch-schreiben muss - ich antworte meiner sorge - um jahrzehnte verspätetes erinnern gar nicht sein - es lebe das langzeitgedächtnis.

   es muss noch in den 50er jahren gewesen sein, dass ich bei einer lesung der bachmann war und meine, dass sie in einem hörsaal der uni wien stattgefunden hätte.
   erstaunt und befremdet hat mich, dass diese längst angesehene autorin so nervös war, mit vibrierender fast versagender stimme vorlas, ein taschentuch zerknüllend, von einem gentleman an den tisch des podiums geführt.
   jahre später, im winter 1963/64 war ich vom literarischen colloquium für vier monate nach berlin eingeladen worden,

Elfriede Gerstl
Elfriede Gerstl
    habe ich sie bei einer veranstaltung möglicherweise kurz kennengelernt, habe aber befremdlicherweise kein bild dafür.
   als ich hörte, dass sie im grundewald in einem krankenhaus war, besuchte ich sie. so einsam, isoliert und missverstanden wie ich in berlin war, halte ich es für möglich, dass ich in der hoffnung freundlichkeit und anteilnahme bietend, ähnliches zu erhalten wünschte. und wirklich hat sich nach ihrer anfänglichen überraschung - ich kam mit meinem ersten kleinen mausgrauen gedichtbändchen - ein angenehmes gespräch ergeben, in dem sie sich als souveräne, gebildete frau von welt zeigte, mit der intelligent über leben in berlin, allerlei leiden und den literaturbetrieb zu reden war.
   anlässlich einer preisverleihung, ich bin ziemlich sicher, es war ein staatspreis an christine lavant, kam die bachmann schick gekleidet, die grosse frau mit flachen, glänzenden slippers (babypumps), locker mit den honoratioren und kollegen parlierend. das alles am minoritenplatz liesse sich datieren, wenn man ein fleissiger mensch (germanist) ist und nachschaut.
   jahre später habe ich ein rom-stipendium und begegnete ihr in der viale bruno buozzi in der bank. sie schlug ein treffen in ihrem stammlokal, dem café greco vor, das ich noch gar nicht kannte.
   kaum dass sie sich hingesetzt hatte, brachte ihr der ober ein noch gar nicht geordertes mixgetränk und sie schwärmte mir vor, wie aufmerksam und freundlich sie hier betreut würde.
   überhaupt ein loblied auf das leben in rom, wie freundlich die menschen hier sind, wie charmant; wenn sie in eine ihrer stammbars frühstücken geht, kann sie noch so verschlafen und kaputt beinand sein, der keeper macht ihr komplimente, scherzt und heitert sie auf. so etwas könne man weder in wien noch berlin erleben.
   sie wohnte gleich neben der spanischen treppe und bot mir an, sie zu besuchen (auf gut glück anzuläuten) wenn ich in der nähe bin, das hab ich mich dann aber doch nicht getraut.
    29. November 2006
 
  Autorenportrait: Elfriede Gerstl
  Forum-Link Kleine Bibliothek: Ingeborg Bachmann. Neue Bilder zu ihrer Figur. Hrsg. von F. Aspetsberger
     


KEINE KERZE FÜR FLORIAN
    Hilde Spiel [5]

Nein, nein, ich will es nicht, ich kann es nicht ertragen, wie die Wellen sich wieder geglättet haben nach diesem Tiefensturz, wie widerspruchslos man ihr Verschwinden hinnimmt und an ihrer Stelle ein totes Standbild aus dem Wasser zieht, makellos, die vollendete Legende.

       Und damit beginnt es schon, mit dieser metaphorischen Verklärung, hier noch dazu mit einem falschen Bild, denn es war ein anderes Element, das sie verzehrte, es beginnt mit der Mythologisierung eines Menschen und seines Todes, der gräßlich war, unausdenkbar gräßlich und darum lieber nicht gedacht. Schmerz, sagt man, habe sie nicht gelitten, und darum lieber
   
Hilde Spiel
Hilde Spiel
nicht gedacht. Schmerz, sagt man, habe sie nicht gelitten, aber wer weiß, was vorgeht in jemanden, der scheinbar bewußtlos, entnervt, entseelt vor uns liegt, welche Ahnungen, Empfindungen, welches körperliche Leiden? Vor kurzem las ich, man hätte Sterbende nach ihren Eindrücken befragt, die letzten zehn Minuten seien immer friedlich gewesen, sie hätten sich alle ins Unausbleibliche gefügt, es geradezu herbeigewünscht. Diesen fadenscheinigen Trost will man sich und uns unterschieben. Und genau so, ja schlimmer, verfährt man mit den Dichtern, indem man ihr Ende, kaum ist es eingetreten, bereits als unabwendbar erklärt, ihr Leben zur Fabel macht, abrundet, einordnet in die Seiten der Literaturgeschichte.
Gewiß, ich weiß genau, wieviel Anlaß sie selbst dazu gab.
Wie sehr sie pflegte, was ein anderer Schriftsteller, Ernst Jandl, ablehnend als "poetische
Lebensführung" bezeichnet, wie sie sich selbst romantisierte, in ihrer Prosa zumal. Auch ich habe die vielen Stellen in ihren Gedichten und Erzählungen gelesen, in denen sie mit dem Feuer spielte, ihren Tod eitel nannte, ihn vorauszusagen schien mit nachtwandlerischer Sicherheit
   
   
»Wenn auch im Nadeltanz unterm Baum
die Haut mir brennt«
»Wenn meine Locke züngelt«
»Wenn ich befeuert bleib wie ich bin
und vom Feuer geliebt«
»Ich seh den Salamander durch jedes Feuer gehen«
»Wenn alle Krüge zerspringen,
was bleibt von den Tränen im Krug?
Unten sind Spalten von Feuer,
sind Flammenzungen am Zug.«
    Und am schrecklichsten:
   
Fällt diese Hand ins Feuer
mein Wort, errette mich
   
Zu Dutzenden sind sie aufspürbar, diese Omina, leitmotivisch kehren sie immer wieder, nicht zu reden von all den Hinweisen in ihren Erzählungen auf brennende, verlegte, vergessene Zigaretten, die Löcher in Tischplatten sengen oder im Teppich verglimmen. Und wie Falstaff nicht bloß selbst witzig war, sondern auch Ursache, daß andre Witz hatten, so rief ihr prophetisches Vorgefühl bei ihren Freunden die gleiche Hellsicht hervor - so bei Kurt Klinger, dem Lyriker, der zwei Jahre vor ihrem Tod einen Zyklus über sie schrieb, darunter das Gedicht Einäscherung der Poetessa, mit den entsetzlichen Zeilen
   
Sie brennt, sie brennt wie Feuer unter der Erde,
sie ist zu den Delphinen heimgekehrt
dort wird es ihrer Seele besser gehen,
    und noch unmittelbarer, bewegender:
   
Doch als wir die Gebeine bergen wollten,
lag sie unverletzt und mädchenhaft
unter einem Schleier atmender Asche.
    Daß sie gefährdet war, wußte sie wohl, und hatte Angst vor dieser Gefährdung, der sie doch, wie sie gleichfalls wußte, ihre Dichtungen verdankte. Angst vor dieser entfernten und erbarmungslosen Sphäre, in der sie nicht nur zum poetischen Erleben zugelassen, sondern zum poetischen Leben verurteilt war. Und ihre Prosa ist eine einzige Flucht davor, eine Flucht vor dem Metaphorischen ins Direkte, ja Triviale, auf eine Ebene, in der ihr nichts drohte als Liebeskummer oder jene kleinen Fährnisse des Alltags, die man in einer Nacht zu überwinden vermag. Aber selbst dort verstreute sie ihre Hilferufe, warf Flaschenposten aus, noch in ihren anfechtbarsten, mondänsten Geschichten, etwa in jener von der törichten Beatrix ("Probleme, Probleme"), sind sie zu finden, dort in den Leitwörtern "grauenvoll" und "Belastung" und in dem Verfallensein der Beatrix an den tiefen Schlaf. "Wo nehmen", so heißt es in "Simultan", "die anderen Menschen bloß die Fassungskraft her, ich weiß nur, bei mir wird sie immer schwächer." Und später dann, kosmopolitisch verfremdet: "Aide-moi, aide-moi, ou je meurs ou je me jette en bas. Je meurs, je n'en peux plus." Ganz abgesehen von "Malina", wo in einer Mischung aus Liebesromanze, Gesellschaftssatire, Lebensphilosophie, Psychodrama und Anamnese immer wieder diese Angstschreie ertönen, vor allem in den Träumen, den Nachtmahren des zweiten Teils, auch hier nicht metaphorisch, sondern pseudo-real, in Form von Schreckgesichten.
   Ach, es ist leicht, ihre Lyrik zu lieben, diese reinen Exerzitien, in denen sie sich immer auf den eigenen Höhenzügen hielt, dem äußersten Grad, niemals abrutschte oder sich zufrieden gab mit billigeren Bildern. Obwohl schon hier sich Leute fanden, die kein gutes Haar an ihr ließen, ihr vorwarfen, sie hole "aus den Töpfen und Tigeln, die auf dem hohen Bord der lyrischen Tradition stehen, vom Grunde die Reste und mixe ein lyrisches Bindemittel" draus, und selbst Erich Fried in seinem Nachruf auf sie Textkritik übte, ihre Verse Zeile für Zeile auf - oder abwertete, gleichwohl auch eine Stelle verteidigte, die ohne ihre Präzision "vielleicht zu lyrisch" gewesen wäre.
 
  Autorenportrait: Hilde Spiel
     
           
Information zu dieser Seite: Zeichenerklärung:NavigationshilfeNavigationshilfeForum-LinkForum-Seite(n)Externer LinkExterner Link
 
[1] Jean Amérys Nachruf wurde unter dem Titel "Am Grabe einer unbekannten Freundin. Zum Tode von Ingeborg Bachmann"
  zuerst abgedruckt in: Die Weltwoche. Zürich, Jg. 41, No. 43 v. 24. Oktober 1973.
  Abdruck mit besonderer und freundlicher Genehmigung des © Verlages Klett-Cotta, Stuttgart.
[2] Heinrich Bölls Nachruf wurde zuerst abgedruckt in: Der Spiegel. Hamburg, Jg. 27, No. 43 v. 22. Oktober 1973, S. 206.
  © Kiepenheuer& Witsch, Köln. Mein besonderer Dank an die Erbengemeinschaft Heinrich Bölls sowie den Verlag
  Kiepenheuer & Witsch für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung und für die hilfreiche Unterstützung meiner Arbeit.
[3] Hermann Burger: Abend mit Ingeborg Bachmann 7. X. 69, zuerst veröffentlicht in: Zwischen den Zeilen (ZdZ).
  Eine Zeitschrift für Gedichte und ihre Poetik. Hrsg. von Urs Engeler. Heft 3, Januar 1994.
[4] Hilde Domin: Gruß an Ingeborg Bachmann, in: Hilde Domin: Aber die Hoffnung. Autobiographisches. Aus und über
  Deutschland. München, Zürich 1982, S. 127 - 128. Ich danke dem © S. Fischer Verlag, Frankfurt/M. für die freundliche
  Genehmigung zur Veröffentlichung des Textes. Bedanken möchte ich mich an dieser Stelle auch bei Irena Stasch
  [www.deutsche-Liebeslyrik.de] für ihre hilfreiche Unterstützung bei der Recherche.
[5] © Elfriede Gerstl: bachmann traurig - bachmann froh - in berlin und anderswo, in: Ingeborg Bachmann. Neue Bilder zu ihrer
  Figur. Hrsg. von Friedbert Aspetsberger. StudienVerlag (= Bd. 18) Innsbruck, Wien, Bozen 2007, S. 23ff.
  Mein Dank gebührt Elfriede Gerstl für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung ihres Textes sowie Herrn Friedbert
  Aspetsberger für seine hilfreiche Unterstützung.
    © Ricarda Berg, erstellt: Oktober 2001, letzte Änderung: 26.02.2023
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg