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| 02. September 2024 | «Ich kann nicht leben mit einem Mann» | |||
| Unveröffentlichte Aufzeichnungen der Dichterin offenbaren ihre Zerrissenheit. | ||||
| Die späte Einsicht – «ich kann nicht leben mit einem Mann» – konkurrierte mit der sich durchziehenden Klage über ihre tiefempfundene Einsamkeit. Wohl selten hat das Gefühl existenzieller Unbehaustheit einen so ergreifenden Ausdruck gefunden wie zwischen diesen Seiten. «Bleiben ist tödlich und Fortgehen keine Lösung» – so lautet eine frühe Aufzeichnung, die auch für das Herzstück und die eigentliche Entdeckung dieses Bandes gilt, das sogenannte «Neapolitanische Tagebuch» aus der Zeit bei dem Komponisten Hans Werner Henze. Die von Geldsorgen und innerer Unruhe getriebene Dichterin verbrachte zwischen Februar und September 1956 einige Monate in Henzes neapolitanischer Villa, um dort ungestört arbeiten zu können. Es ist eine Zeit, die Henze selber in seinen Erinnerungen als «die glücklichste Zeit meines Lebens» beschrieben hat. Für Ingeborg Bachmann war diese in der Sekundärliteratur als leuchtende Ausnahmephase wahrgenommene Episode allerdings eine Qual. Henze war homosexuell, Bachmann heftig in ihn verliebt. «Es gibt Stunden, wo ich bereit wäre und bin, jede Erniedrigung anzunehmen, nur um ihn noch einmal zu sehen», schreibt sie. Und: «So vergeblich zu lieben, ist wie zum Tod verurteilt sein, jeden Tag aufs Neue, und nicht zu sterben.» Es wiederholte sich hier ein Liebesunglück, das seine Wucht nicht zuletzt aus der tief verletzenden «Herzzeit» mit Paul Celan bezog, die ebenfalls in einem grundstürzenden «Alleinsein von Jahren» mündete. Glaubt man allein diesen Zeugnissen, die von den ersten erhaltenen Aufzeichnungen aus der letzten Kriegs- und unmittelbaren Nachkriegszeit in Klagenfurt bis Anfang der siebziger Jahre reichen, dann war Ingeborg Bachmanns Leben weitgehend «eine unerhörte und geschmacklose Zumutung». Auch «das ganze gigantische Unglück des Schreibens» und der damit verbundenen Existenzängste kommt hier zu Wort. |
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| Andrea Köhler [1] | ||||
| 13. Juli 2024 | Neues Buch "Senza casa" bietet Einblicke in das Leben Ingeborg Bachmanns |
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| Ingeborg Bachmanns Strahlkraft ist ungebrochen. Der neue Band der Salzburger Bachmann-Edition hinterfragt medial über sie vermittelte Stereotype |
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| [...] Schüchtern und scheu, war sie doch eine Meisterin der Selbstinszenierung, eine weltgewandte "femme de lettres", eine "poetessa assoluta", für die Schreiben existenzieller Auftrag und Passionsgeschichte zugleich war. Hinter ihrer mädchenhaften Erscheinung und ihrem verletzlichen Habitus verbargen sich Selbstbewusstsein, Zähigkeit, Ehrgeiz und Mut sowie eine überragende, an Wittgenstein geschulte Intelligenz, der sich selbst ein Max Frisch unterlegen fühlte.
Mit ihrer Prosa nach der schmerzlichen Trennung von Frisch – "er hat mir mein Strahlen genommen" – verliert die "gefallene Lyrikerin" (Reich-Ranicki) zwar die Zustimmung etlicher ihrer Verehrer, wird aber mit ihren Themen zu einer Ikone der Frauenbewegung. Liebe sieht sie als "dunklen Erdteil", als "mörderisches Risiko" , als "dunklen Schatten", der vor allem die Frau in immer neue "tiefe Wintereinsamkeiten" führt.
Im Wildwuchs an apokrypher Erinnerungsliteratur ist Ingeborg Bachmann entweder Objekt männlicher Blicke oder Projektionsfläche weiblicher Identifikation. Der nun veröffentlichte Band der Salzburger Edition Senza casa, der frühe, zum Teil unveröffentlichte Tagebuchaufzeichnungen, autobiografische Skizzen und Notate sowie das Kriegstagebuch ediert, ermöglicht uns noch einmal einen Blick zurück zu ihren Anfängen in Klagenfurt nach der Matura. [...] Der Verlag verspricht, mit den jetzt publizierten Texten einen neuen, weniger klischeehaften Blick auf diese einzigartige Dichterin, die, ihre vielen Umzüge belegen es, "senza casa", d.h. unbehaust, ohne Halt und Heimat blieb, was vor allem nach der schmerzhaften Trennung von Max Frisch zu einer immer größeren Abhängigkeit von Stimulanzien, vor allem Medikamenten und Alkohol, führte. Letztlich ist sie ja auch nicht an ihren schrecklichen Verbrennungen, den "schlimmsten aller Todesarten", gestorben, sondern an den Folgen der nicht erkannten Medikamentenabhängigkeit. Heimat und Geborgenheit hat sie, die "unter Menschen nicht leben" konnte, nur in der deutschen Sprache gefunden. Vor allem die zum Teil verstörenden autobiografischen Notate zeigen die Dichterin, die nie systematisch Tagebuch geführt hat, im intimen Selbstgespräch und im Gegensatz zur glänzenden Selbstdarstellung nach außen und zu den Masken- und Rollenspielen in den unterschiedlichsten Beziehungswelten im Briefwechsel als ein unsicheres, verletzliches und gefährdetes Ich, immer im Kampf um den eigenen künstlerischen Selbstentwurf und einen Ort im Leben. Überraschend sind die Notizen aus der künstlerisch so produktiven Zeit des Zusammenlebens mit Hans Werner Henze, die sonst immer als glanzvoll und beglückend dargestellt wird, als "ekstatische Initiation ins freie Künstlerleben". Aber die Utopie erweist sich als brüchig: Das für ihn " wunderbare, schöne und reine Leben" steht für sie im Zeichen des Unglücks und des Verzichts und löst tausend Fluchtgedanken aus: "So vergeblich zu lieben ist wie zum Tod verurteilt zu sein." Und: "Jeder Bauernjunge hat mehr Reiz für ihn als ich." Schon früh wusste sie, dass "Bleiben tödlich und Fortgehen keine Lösung" ist. |
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| Barbara Machui [2] | ||||
| 05. August 2024 | Neue Einblicke in das Leben von Ingeborg Bachmann | |||
| „Senza casa“. Autobiographische Skizzen, Notate und Tagebucheintragungen | ||||
| [...]
»Es wird immer unmöglicher, schlafen zu gehen. Bohrende Nervosität, und Müdigkeit von Jahren dahinter. Die Versuche, das „Richtige“ zu tun, Kompromisse, Unbedingtheiten, Skrupel. Der Versuch, sich auszudrücken, zu spüren, die Schatten zu teilen. Ein sehr dunkles Dickicht, an dem jedes Messer zerbricht.« [3] Dies schreibt sie 1951 als 25-Jährige, während sie in Wien als Radioredakteurin ein bohèmehaftes Leben führt, als Model mit Lederjacken posiert, Begehren auslöst und entsprechende Affären hat. Und auch, als bald danach ihre große Berühmtheit einsetzt, ändert sich der Ton ihrer intimen Notate nicht, im Gegenteil: Abgesehen von wenigen Ausnahmen wird er immer verzweifelter.Es fällt allerdings auf, dass sie nur äußerst sporadisch solche tagebuchähnlichen Blätter geschrieben hat, mitunter im Abstand von mehreren Jahren. Die Herausgeberinnen des vorliegenden Bandes fanden sie verstreut im Nachlass, oft einzelne Zettel, die zwischen Werk- und Briefentwürfen, Einkaufslisten oder Zahlenkolonnen lagen. Die große Entdeckung ist aber das von den Herausgeberinnen so genannte „Neapolitanische Tagebuch“, ein Notizheft aus der Zeit zwischen Februar und September 1956, als Bachmann zusammen mit Hans Werner Henze in dessen Wohnung in Neapel lebte. Der Komponist Henze hatte sie bereits 1953 nach Italien gelockt, es war ihr Sprungbrett in ein freies Leben. Die ersten künstlerisch rauschhaften gemeinsamen Wochen mit dem homosexuellen Henze auf Ischia schufen eine komplexe Bindung, die auch sinnliche Implikationen hatte. Bachmann führte eine radikal ästhetische Existenz, zog oft um, lebte meistens in Rom, aber sie hatte permanent finanzielle Nöte. Das halbe Jahr mit Henze 1956 bildet eine schwierige Zuflucht, sie fühlt sich auf eine fundamentale Einsamkeit zurückgeworfen. [...] Die existenzielle Dimension, die das Schreiben für Bachmann hat, ist für heutige, zeitgenössische Verhältnisse mit ihrer intensiv ausgebauten Infrastruktur des Literaturbetriebs kaum noch nachzuvollziehen. Aber gerade hier liegt der Kern der Rätselhaftigkeit, die Bachmann umgibt, ihrer Fremdheit, ihres geradezu exemplarischen Lebens. Ihre Gedichte ragen in ihrer Zeit heraus, doch ihr Fluchtpunkt ist nicht die Gegenwart. »Die „Zeitnähe“ soll uns nicht kümmern; die Zeit prägt uns ohne Zutun. [...] Auf dem Grund ist Dunkelheit genug und Unsagbares, und Schreiben ist neben andrem ein stetes Zurückdrängen von Dunkelheit.» [3] |
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| Helmut Böttiger [3] | ||||
| 28.07.2024 | Ihr schönster Sommer und ihr tiefster Schmerz | |||
| Zum Teil unveröffentlichte autobiografische Texte zeigen Ingeborg Bachmann jetzt in einem neuen Licht – aber auch in einer der Krisen, in denen die Liebe sie fast das Leben gekostet hätte. |
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Eines haben Ingeborg Bachmann und Franz Kafka gemein, vom Kultstatus einmal abgesehen: Ihre nachgelassenen Schriften – Romanfragmente, Tagebücher, Briefe – sind bei weitem umfangreicher als ihre zu Lebzeiten veröffentlichten Werke. Und sie richten die Aufmerksamkeit des Publikums auf die private Person hinter dem Werk und verändern deren öffentliches Bild, indem sie verborgene Gegenbilder offenbaren. Die Mythen und Legenden, von denen beide, Bachmann wie Kafka, umsponnen sind, werden durchscheinend, der Mensch tritt hervor, gefangen in seinen Nöten, Leiden und Krisen. Erst nachdem die Erben Ingeborg Bachmanns, ihr Bruder Heinz und ihre Schwester Isolde, gestatteten, den Nachlass, der eigentlich bis 2025 gesperrt war, vorzeitig zu öffnen und auch ihre Privatarchive zur Verfügung stellten, wurde dessen gewaltiger Umfang offenbar. Es sind geschätzte 27’000 Blatt, ein wildes Durcheinander von zumeist losen Zetteln, hand- oder maschinengeschrieben, voller Flüchtigkeits- und Tippfehler. [...] Seit ihrem Erfolg 1952 bei der Tagung der Gruppe 47 ist Bachmann auf bestem Wege, zur berühmtesten deutschsprachigen Lyrikerin ihrer Epoche zu werden; sie steht am Anfang einer verheissungsvollen Künstlerfreundschaft und Zusammenarbeit mit Hans Werner Henze – sie schreibt die Libretti für seine Opern und Ballettmusiken, er vertont ihre Gedichte; und Henze hat sie für den Sommer 1953 in die internationale Künstlerkolonie auf der Insel Ischia eingeladen. Doch Bachmann erlebt ihre Lage subjektiv ganz anders. Sie fühlt sich auf Ischia nur «hochgradig verstört», leidet unter Angstträumen und einem «furchtbaren, erstickenden Gefühl, ganz überflüssig zu sein, nichts zu können, das Einfache nicht zu können». Die Utopie einer produktiven Künstlergemeinschaft erweist sich als brüchig und ist für Bachmann nur im Konjunktiv zu haben: «Könnt ich von weit her denken, wärs die schönste Zeit.» Die schwierigste Phase ihrer Beziehung zu Henze ist zugleich die intimste und die kühnste – der Versuch im ersten Halbjahr 1956, auf Vorschlag Henzes in seiner Wohnung in Neapel zusammenzuleben, zu arbeiten und zu heiraten. Doch dieser Traum einer idealen Künstlerehe auf Basis reiner Seelenfreundschaft ist unlebbar, stürzt Bachmann fast in die Arbeitsunfähigkeit, macht sie tief unglücklich und zur Trinkerin. Da sie sich ernstlich in ihren schwulen Freund verliebt, wird die Situation für sie unhaltbar – tragisch, peinlich und demütigend: «Mir ist zum Sterben elend. Jeder Bauernjunge hat mehr Reiz für ihn als ich.» Die Faksimiles der im Anhang erstmals publizierten Briefentwürfe an Henze offenbaren Bachmanns Verzweiflung: «Unbeantwortet bleibt: Warum willst Du mich hierhaben, warum willst Du mit mir leben?» Qualvoll ihre Zerrissenheit, nicht bleiben und nicht gehen zu können: «So vergeblich zu lieben, ist wie zum Tod verurteilt zu sein, jeden Tag aufs Neue, und nicht zu sterben.» Ein Muster, das sich in allen Liebesbeziehungen in Ingeborg Bachmanns Leben wiederholt. Die Wahrheit ist, dass ihr auf Erden nicht zu helfen war. |
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| Sigrid Löffler [4] |
| Information zu dieser Seite: | Zeichenerklärung: |
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| [1] | © Neue Zürcher Zeitung, Autor: Andrea Köhler, 02.09.2024 |
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| [2] | © Der Standard, Barbara Machui 13. Juli 2024 |
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| [3] | © Deutschlandfunk Kultur, Helmut Böttiger |
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| [4] | © Tagesanzeiger Artikel: Sigrid Löffler |
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| © Ricarda Berg, erstellt:
Oktober 2025, letzte Änderung: 11.11.2025 http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg |
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