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Deutschlandfunk
10. Mai 1998   Letzte, unveröffentlichte Gedichte
 
  [...] Ingeborg Bachmann hielt sich vom Frühjahr 1963 bis Ende 1965 in Berlin auf. Die im Nachlaß aufgefundenen Gedichte, die sie in diesen Zeitraum schrieb, es sind ihre letzten, wurden jetzt von Hans Höller mit sorgfältigen Kommentaren versehen in einem liebevoll gestalteten Buch herausgegeben. Das besondere dieser Publikation liegt in den fotomechanischen Reproduktionen der unterschiedlichen teils handschriftlich korrigierten Fassungen und Entwürfe der Texte, die einen sehr informativen Einblick in die mit ihrer Entstehung verbundenen Wege und Mühen geben. Diese textgenetischen Informationen sind speziell für die Rezeption der drei Gedichte "Keine Delikatessen", "Böhmen liegt am Meer" und "Enigma" aufschlußreich.
Wenn hier von einer kommentatorischen Sorgfalt die Rede ist, so meint dies vor allem Höllers Hinweise auf die verzweigten und vielfältigen Lektüre-Spuren in den Gedichten: Korrespondenzen, Zitationen und Anspielungen, die diese Lyrik direkt und indirekt mit anderen Arbeiten, früheren und späteren der Dichterin selbst, aber auch mit den Texten anderer Autoren verbindet. [1]
  Silvia Boverschen
     
Der Tagesspiegel    
01. Mai 1998   Schreibarten: Der Fall Keller
    Echte Trouvaille und philologischer Exzeß:
    Ingeborg Bachmanns Reportagen aus Rom sind zu entdecken,
    fünf Gedichtentwürfe nur zu studieren
   
    [...] Und wie nehmen sie sich nun aus, die hier aus dem Nachlaß in der Österreichischen Nationalbibliothek Wien zum ersten Mal veröffentlichten und "weitgehend unbekannten" Gedichte? Fünf kleine Texte von jeweils wenigen Zeilen sind es, Entwürfe eher oder Etüden, abgedruckt auf 4 (vier!) faksimilierten Seiten eines Bandes von insgesamt 165 Seiten und entstanden im lebensgeschichtlichen und thematischen Zusammenhang der beiden Prag-Reisen, die Ingeborg Bachmann Anfang 1964 von Berlin aus unternommen hat: "Schallmauer", "In Feindeshand", "Wenzelsplatz", "Jüdischer Friedhof" und "Poliklinik Prag".
"Gewiß, eine spektakulären Werke", bekennt der Herausgeber, "Texte, die nicht einmal endgültig ausgeformt erscheinen" und die sich neben den berühmten letzten Gedichten, die die Autorin im November 1968 im legendären Heft 15 der Zeitschrift "Kursbuch" noch selbst veröffentlicht hat ("Enigma", "Böhmen liegt am Meer", "Keine Delikatessen", "Prag Jänner 1964"), doch eher "bescheiden" ausnehmen. Es sind die Vorbehalte, die auch der Herausgeber bereitwillig ausspricht, die er aber nicht dadurch entkräftet, daß er sich absichernd argumentierend darüber hinwegsetzt. Auch ihm nämlich erscheint "eine Publikation aus dem Nachlaß, die sich nicht auf den Autorwillen stützen kann, problematisch"; er könne allenfalls als Versuch gerechtfertigt werden, "die Problemkonstante des Schaffens zu verdeutlichen".
Gewiß ist zu Ehren des Herausgebers zu sagen, daß diese Edition überaus kundig, sorgfältig und erhellend ist, daß sie von profunder Kenntnis des gesamten Bachmannschen Oeuvres und auch seines werk- und lebensgeschichtlichen Zusammenhangs zeugt. Wie bei allen derartigen Editionen aber mag man sich fragen, inwieweit sie der außerordentlichen Leistung eines Autors, einer Autorin wirklich dienend näherkommen, inwieweit sie "dieses absolute glückliche Auftretenlassen von Worten und Bildern", wie Ingeborg Bachmann es genannt hat, tatsächlich nachträglich erklären können. Das gelungene Ganze eines Gedichts ist, da es ein qualitativ unangreifbar anderes Niveau erreicht hat, eben nicht mehr aufzulösen in die Vorstufen seiner Entstehung: sind es gerade auch die Sprünge, die Willkür und die Ungereimtheiten jeder schöpferischen Energie, die sich nicht dokumentieren lassen.
  Karin Kiwus
       
Nr. 17 / 1998       Den Tag im Herzen
        Rundfunkarbeiten und fünf kleinere lyrische Werke: Auch die
        letzten Fundstellen werden jetzt nach und nach verlegerisch erschlossen
       
        [...] Eine zweite Neuerscheinung zum Thema Ingeborg Bachmann ist der von dem Salzburger Germanisten Hans Höller im Suhrkamp Verlag veröffentlichte, schön gestaltete Band mit letzten, teilweise noch unveröffentlichten Gedichten. Sie datieren aus der Zeit zwischen 1963 und 1965, als die Dichterin in Berlin lebte, einem, wie sie selbst zu Beginn ihrer Büchner-Preis-Rede mitteilte, "gestörten Ort, in einer Verstörung, die von diesen Störungen einiges aufzunehmen fähig war". So geht es in diesen von Hans Höller akribisch interpretierten und kommentierten Entwurfsfassungen weniger um das einzelne, leicht konsumierbare "schöne" Gedicht, sondern vielmehr um die Parallelität und Pluralität einzelner Entstehungsstufen, ein "work in progress" also, abgebildet in fotomechanischen Reprints. (...)
Hans Höller zieht in seinem Kommentar eine Parallele zu Bachmanns Essay über den polnischen Schriftsteller Witold Gombrowicz. Dort schreibt sie, er sei "auf hundert Umwegen aus vielen Ländern" in diese Stadt gekommen, wo sie beide begriffen, daß "dieser Ort nach Krankheit und Tod riecht ... Ich besuchte ihn noch einmal, ehe ich selber krank wurde, ..., ich ging eher fort, als ich es wollte, ich konnte den Straßenlärm nicht mehr aushalten."
        Erdmute Klein
       
Nr. 41 / 2000       Ingeborg Bachmann
        Ihre Gedichte aus dem Nachlass sind das Dokument einer Liebes- und Lebenskrise
       
        Unveröffentlichte Gedichte von Ingeborg Bachmann! Das tönt nach einer Sensation, aber ist eher ein Skandal, jedenfalls ein elender Etikettenschwindel. Denn in diesem Band findet sich kein einziges abgeschlossenes, geschweige denn ein geglücktes Gedicht und schon gar nicht eines, das Ingeborg Bachmann je zur Publikation freigegeben hat. Was wir vor uns haben, ist ein Konvolut aus Gestammel und Geheul, aus Hilfe- und Racherufen, Wahn- und Todesfantasien, kurz: der ungereinigte Lebensschlamm, der zwar von jeher den Urgrund der Poesie bildet, aus dem Ingeborg Bachmann sich aber in den Jahren 1962 bis 1964 - also im unmittelbaren Banne ihrer schlimmsten Lebenskatastrophe, die mit dem Ende ihrer Beziehung zu Max Frisch über sie hereingebrochen war - nie so weit lösen konnte, dass sie dabei zu jener Distanz gefunden hätte, ohne welch e die Arbeit am Gedicht nicht glücken kann. Im Abgrund des Unglücks schreibt man so wenig ein Gedicht wie auf dem Gipfel des Glücks.
Zu besichtigen ist hier also nur ein enormes Elends- und Erregungspotenzial als Material für Gedichte, die Ingeborg Bachmann später freilich nie geschrieben hat noch schreiben wollte. Hat man vergessen, dass sie in den sechziger Jahren immer wieder ihr Unbehagen an der Gattung der Lyrik und insbesondere der eigenen Lyrikproduktion artikulierte und 1968 mit der Publikation von vier letzten Gedichten in jenem berühmt-berüchtigten Kursbuch, das den Tod der Literatur ausrief, demonstrativ von der Lyrikbühne abtrat? "Aufhören ist eine Stärke, nicht eine Schwäche", so kommentierte sie noch 1971 ihren Willen zur Lyrikabstinenz. [...]
        Peter Hamm


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[1] © Deutschlandfunk. Büchermarkt Kritiken. Manuskript vom 10.05.1998; 16:10
    © Ricarda Berg, erstellt: Januar 2003, letzte Änderung: 15.10.2025
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg