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Marie Luise Wandruszka |
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In der 1960 gehaltenen dritten Frankfurter Vorlesungen spricht Ingeborg Bachmann nach einem Zitat aus Becketts Roman Der Namenlose von einem "Ich ohne Gewähr", das immer wieder gegen die "anonymen Instanzen" "Es" und "Man" in der Dichtung seinen Triumph haben wird. [1] 1967, im Entwurf einer Rezension von Georg Groddecks Buch vom Es, heißt es dagegen: "[...] das Ich ist eine Maske, die Hoffart, mit jeder von uns herumgeht, und wir werden vom Es regiert". [2] Und im 1971 erschienenen Roman Malina rät der männliche Doppelgänger Malina dem weiblichen, schreibenden Ich, ihr Ich aufzugeben:
"An der richtigen Stelle hast du nichts mehr zu wollen. Du wirst so sehr du sein, daß du dein Ich aufgeben kannst. Es wird die erste Stelle sein, auf der die Welt von jemand geheilt ist." [3]
Sie wird so sie selbst sein, dass sie ihr Ich aufgeben kann. Ein Selbst, das sein Ich aufgibt, das ist eine zentrale Figur für viele große Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. [...]
Bei all diesen Schriftstellerinnen (Virginia Woolf, Marguerite Duras, Karen (Tanja) Blixen, RB.) ist diese Paradoxie am Werk: Das Charakteristische, das Selbst ist ein Geschenk, das nur derjenigen gegeben wird, die auf ihr Ich verzichtet, die diese Auflösung der Identität riskiert. Doch diese Schriftstellerinnen verlieren ihr Ich auf eine andere Weise als die Schriftstellerin in Malina.
Das weibliche Ich stellt in Malina fest: "Auch wenn es das Unverzeihliche ist, will ich mich immer verzetteln, verirren, verlieren" und irritiert damit Malina, der ihr strikt antwortet: "Was du willst, zählt nicht mehr". [4] Es hat eine gewisse Logik, dass dieses weibliche Ich sterben, getötet werden muss, damit weiter geschrieben werden kann.
Ein Unterschied zu Woolf, Duras, Blixen ist dieses Leiden. Eine Mrs. Ramsay würde sich das Wollen, die Liebe, nicht verbieten lassen. Mrs. Ramsays Ich-Auflösung verdankt sich einer Liebe, aber keiner masochichstischen, während Malina eine Opposition konstruiert zwischen einer sich verzettelnden, sich verirrenden Liebe und dem von ihr geforderten Ich-Verzicht. Nur weil Mrs. Ramsay ein Alter Ego á la Malina nicht brauchen kann, fällt ihr Ich-Verzicht mit einem gesteigerten Selbstsein zusammen. Mrs. Ramsay ist nicht in einem gesteigerten Selbstsein zusammen. Mrs. Ramsay ist nicht in der Bewunderung für ihre Lehrer aufgewachsen, sie vertraut ihrer eigenen Vernunft.
Das weibliche Ich dagegen glaubt, nur männlich denken zu können. Auch die von ihr konsultierte Astrologin, eine Frau Novak, bestätigt sie darin:
[...] es sei eigentlich nicht das Bild von einem Menschen, sondern von zweien, die in einem äußersten Gegensatz zueinander stünden [...]. Getrennt, meinte Frau Novak, wäre das lebbar, aber so, wies es sei, kaum, auch das Männliche und das Weibliche, der Verstand und das Gefühl, die Produktivität und die Selbstzerstörung träten auf eine merkwürdige Weise hervor. [5]
Wenn etwas in diesem Roman, der so gerne von der Forschung als ein Modell der Dekonstruktion gelesen wird, eben nicht dekonstruiert wird, sondern fast archaisch festgelegt ist, so ist es "das Männliche" und "das Weibliche". Frau Novak spricht wie Otto Weininger, der den Titel für das letzte Kapitel von Malina liefert, und von Ingeborg Bachmann immer wieder als wichtiger Vertreter ihres "Hauses Österreich" zitiert wird. [...]
Dass Malina am Ende ein Mörder ist, hängt also sicher damit zusammen, dass er ein männlicher Doppelgänger ist. Warum konstruierte Ingeborg Bachmann keine weibliche Doppelgängerin? Eine Frau, die nicht an den Männern leidert, eine Frau ā la Simone Weil, von der ja wahrscheinlich die Sätze Malinas aus dem Bereich der Mystik (Überwindung des Ich) und des Taoismsu (das Nicht-Handeln, das paradoxerweise sehr real, sehr politisch in die Wirklichkeit eingreift) beeinflusst waren? Warum glaubt Bachmann, wenn sie denkt, sich nur mit Männlichem zu beschäftigen? Was ja für sie selbst nicht stimmt? [...]
Es tut einer Frau nicht gut, sich die Vernunft männlich zu denken. Und Ingeborg Bachmann selbst (...) tut dies so radikal auch nur in Malina.
Ingeborg Bachmanns "ganze Gerechtigkeit" |
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Passagen Verlag
Wien 2011 160 Seiten ISBN 978-3-7092-0005-6
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