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Michèle Pommé

Ingeborg Bachmann -
Elfriede Jelinek

Mit dem Verschwinden des Ich in der Wand ist buchstäblich nicht das letzte Wort gesprochen, wird sein Tod doch zuletzt noch kommentiert. Zwar äußert die Protagonistin die Worte "Es war Mord" nicht selbst, die Anklage erfolgt jedoch von einem Standpunkt, der ihrer Sichtweise entspricht. Der Roman triumphiert somit über die tödliche Geschlechterdichotomie, die er beschreibt. Denn er verwirklicht auf diskursiver Ebene, was in der fiktiven Welt ein Ideal bleibt, die Darstellung der Aporie, als Frau nicht schreiben und als - aller weiblichen Attribute entledigten - Künstlerin nicht leben zu können. Somit gelingt Bachmann, was dem Ich versagt bleibt, nämlich die Vermittlung zwischen 'männlichem' Verstand und Realitätsbezug einerseits und dem 'weiblichen' Bekenntnis zu einer Existenz des Gefühls andererseits. Der Text unterstreicht, indem er das Scheitern der irrationalen 'weiblichen' Existenz vorführt, die Notwendigkeit, der Realität verhaftet zu bleiben, d.h. die 'männlichen' Anteile zu integrieren. Bachmann wiederholt die traditionelle Geschlechterdichotomie weiblich/irrational vs. männlich/rational. Allerdings schreibt sie sie nicht fest, sondern postuliert vielmehr ein androgynes Ideal, das durch die Vereinigung der komplementären 'männlichen' und 'weiblichen' Eigenschaften eine vollkommene Existenz ermöglichen würde. Die patriarchalische Alleinherrschaft hat, wie Bachmann zeigt, zu Massenvernichtung und das daraus resultierende kollektive Trauma zur nachhaltigen Zerstörung des Einzelnen geführt. Das 'weibliche' Gegenmodell eines Lebens in Liebe kann jedoch nicht verwirklicht werden, denn "Liebe als Verneinung, als Ausnahmezustand, kann nicht dauern", weil sie als Zustand der Entgrenzung einen Austritt aus der Gesellschaft bedeutet. Doch müssen wir, so Bachmann, "in der Ordnung bleiben", denn: "Das Außersichsein, die Ekstase währen - wie der Glaube - nur eine Stunde." Indem Malina, der nach dem Tod des Ich zu der androgynen Figur wird, die sein Name verheißt, als Überlebender aus dem Kampf im Inneren der Zweitterfigur hervorgeht, verkündet Bachmann zum Schluss den Sieg der Literatur über die Utopie der Liebe durch die Errungenschaft einer übergeordneten Stimme. Das weibliche Ich verschwindet und Malina bleibt zurück. Doch hat die Protagonistin dem Doppelgänger zuvor ihre Geschichte übergeben. In der Titelfigur sind zum Schluss 'weibliche' Erfahrung und 'männlicher' Ausdruck vereint. Denn genauso wenig wie Malina ohne die Erfahrungswirklichkeit des ich, kann das Ich ohne Malina kreativ tätig sein: Das "schöne Buch", die "Legende der Prinzessin von Kagran", scheitert an seiner 'weiblichen' Unilateralität. Im Gegensatz zu Jelinek, die sich mit ihrer 'hysterischen' Mimesis im Rahmen der männlichen Vorgabe bewegt, überwindet Bachmann sowohl das ausschließlich 'männliche' als auch das exklusiv 'weibliche' Schreiben.

Während Bachmann ihre hysterischen Figuren und deren pathologische Wiederholung gängiger Geschlechtsstereotype übersteigt und den im Roman dargestellten Konflikt auf der Ebene der Textproduktion mit ihrer 'androgynen' Schreibweise überwindet, geht Jelinek nicht über die Reproduktion der mangelhaften Wirklichkeit hinaus. Im Gegensatz zu ihrer Protagonistin und Bachmanns hysterischen Figurgen manipuliert sie das mimetische Spiel jedoch bewusst, so dass die parodierten Diskurse als künstliche Konstrukte hervortreten. Ihre 'hysterische' Schreibweise stellt daher eine Gender-Parodie im Sinne Butlers dar:
»gender parody reveals that the original identity after which gender fashions itself is an imitation without an origin. [...] This perpetual displacement constitutes a fluidity of identities that suggests an openness to resignification and recontextualization; parodic proliferation deprives hegemonic culture and its critics of the claim to naturalized or essentialist gender identities.«

Auf thematischer Ebene setzt Jelinek Bachmanns utopischer Androgynie eine pathologische Androgynie entgegen. Bachmann beschreibt die Zweigeschlechtlichkeit als Wunschtraum, als Ideal der Totalität und Einheit, um für eine Überwindung der binären Geschlechterordnung zu plädieren. Jelinek verzichtet auf einen Gegenentwurf, sie setzt in der Klavierspielerin da an, wo Bachmanns Roman aufhört, insofern sie überspitzt die für das Ich letale Dichotomie zwischen männlicher und weiblicher Geschlechteridentität zur Darstellung bringt. Sie führt die psychischen Konsequenzen einer pathogenen Geschlechterökonomie vor. Erika ist nicht wie das Ich als Doppelesen konzipiert, sondern als ein "Weder-Noch", das den ihm zur Verfügung stehenden diskursiven und medialen Vorgaben zu entsprechen versucht und sich daher selbst fremd bleibt.
Auf formaler Ebene kontrastiert Bachmanns 'androgyne' Schreibweise mit dem hysterischen Schreibmodus Jelineks. In Malina wird durch die gelegentlichen Durchbrüche des Semiotischen vornehmlich in den poetisierten Textstellen wie der Spiegelszene und der Legende die im Symbolischen verankerte traditionelle Geschlechterdichotomie aufgehoben. Jelinek hingegen, die patriarchalische Diskurse kritisch reproduziert, setzt die Männersprache in den Dienst ihrer weiblichen Ästhetik. [1]

Intertextuelle Schreibstrategien in Malina, Das Buch Franza, Die Klavierspielerin und Die Wand  
Röhrig Universitätsverlag
Kunst und Gesellschaft.
Studien zur Kultur im
20. und 21. Jahrhundert, Bd. 6
 
467 Seiten Broschur
ISBN 978-3-86110-462-9
38,00 €
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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[1] Aus dem Kapitel: Malina - eine "Komposition", 'Weibliches' Schreiben: Androgynie oder Hysterie, in:
  Michèle Pommé: Ingeborg Bachmann - Elfriede Jelinek. Intertextuelle Schreibstrategien in Malina, Das Buch Franza,
  Die Klavierspielerin und Die Wand. Röhrig Universitätsverlag (= Kunst und Gesellschaft. Studien zur Kultur
  im 20. und 21. Jahrhundert, Bd. 6), St. Ingbert 2009, S. 295 -298.
  Ich danke der Autorin und dem © Röhrig Universitätsverlag für die freundliche Genehmigung zur Publikation.
    © Ricarda Berg, erstellt: November 2009, letzte Änderung: 27.02.2024
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg