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Italien war Ingeborg Bachmann von Anfang an vertraut. Sie erwanderte sich Rom, indem sie - wie eine Touristin - stundenlang durch die Stadt streifte, um jeden Winkel zu sehen. Schließlich meinte sie, Rom besser zu kennen als die Italiener. Und doch, je länger sie in Rom lebte, desto größer war die Überzeugung, dass ein Menschenleben nicht ausreichen würde, um diese Stand wirklich kennen zu lernen. Rom war für Ingeborg Bachmann in erster Linie eine 'Herzlandschaft', die je nach Blickwinkel und Gemütsverfassung immer andere, zum Teil widersprüchliche Gestalten annahm. In diesem Licht erscheint die Ewige Stadt wie das Kaleidoskop einer sich permanent verwandelnden Seele, die nie zur Ruhe kommt.[...]
Folgt man Bachmanns Spuren in Rom, dann bewegt man sich entlang einer realen und einer imaginären Topographie. Acht Wohnadressen Ingeborg Bachmanns in Rom, die Domizile ihrer Freunde und Förderer sowei Orte, die für sie mit symbolischem Kapital verbunden sind, stehen den imaginären Orten ihrer römischen Essays und Gedichte gegenüber. In ihrem Essay Was ich in Rom sah und hörte (1955) beschwört Bachmann einmal mehr die Magie der Denkmäler der Ewigen Stadt, lenkt den Blick aber zugleich hinter die Fassaden der Symbole und der Orte, um ein anderes, weniger bekanntes Gesicht der Stadt zu zeigen.
Christa Wolf zeigt sich be- eindruckt von Bachmanns Essay, vom Mut des Menschen, der sich da auf die Stadt einlasse, in ihr untertauche, mit sich geschehen lasse und auch die Augen vor dem Unschönen nicht verschließe.
In Rom sah ich, daß der Tiber nicht schön ist, aber unbe- kümmert um seine Kais, aus denen Ufer treten, an die keiner Hand legt.
Und der Bachmann-Experte Hans Höller meint, dass jeder - nicht nur jene, die nach Rom
reisen - diesen Text kennen sollte, Foto: Palazzo Cenci, Rom - © Angelika Fischer [1] denn wie hier ein Ich die Stadt wahrnehme, das lasse sich auf alle Städte und Landschaften übertragen, sogar auf die Wahrnehmung von uns Menschen selbst. Es gehe um den geschichtsbewussten Blick, der auch die verborgenen Spuren der Gewalt kenne. Und diese sind zahlreich in einer Stadt, die wie kaum eine andere Kristallisation und Schauplatz von Geschichte ist:
In Rom sah ich, daß dem Palazzo Cenci, in dem die unglückliche Beatrice vor ihrer Hinrichtung lebte, viele Häuser gleichen. Die Preise sind hoch und die Spuren der Barbarei überall. Auf den Terrassen morschen die Oleanderkübel zugunsten der weißen und roten Blüten; die möchen fortfliegen, denn sie kommen gegen den Geruch von Unrad und Verwesung nicht auf, der die Vergangenheit lebendiger macht als Denkmäler.
Ich sah auf dem Campo de'Fiorii, daß Giordano Bruno noch immer verbrannt wird. Jeden Sonnabend, wenn um ihn herum die Buden abgerissen werden und nur mehr die Blumenfrauen zurückbleiben, wenn der Gestank von Fisch, Chlor und verbfaultem Obst auf dem Platz verebbt, tragen die Männer den Abfall, der geblieben ist, nachdem alles verfeilscht wurde, vor seinen Augen zusammen und zünden die Haufen an. Wieder steigt Rauch auf, und die Flammen drehen sich in der Luft. [2]

Foto: Die Statue von Giordano Bruno am Campo de'Fiori, Rom - © Angelika Fischer [3]
Vergangenheit und Gegenwart werden in diesen Beobachtungen übereinander geblendet: Denn Rom ist eine offene Stadt, wie Bachmann in ihrem Entwurf Ferragosto feststellt, keine ihrer Schichten kann als abgeschlossen betrachtet werden, sie spielt alle Zeiten aus, gegeneinander, miteinander, das Alte kann morgen neu sein und das Neueste morgen schon alt.
Im Rom-Essay geht es um das Wahrnehmen, den geschärften Blick, und so schließt der Text auch mit den Worten: Ich hörte, daß es in der Welt mehr Zeit als Verstand gibt, aber daß uns die Augen zum Sehen gegeben sind. Wir sollen 'sehend werden', wie Bachmann es auch in ihrer Kriegsblinden-Rede Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar (1959) von uns verlangt. Die Augen müssten einem aufgehen, und nicht weil wir eine Sache oder einen Vorfall äußerlich wahrgenommen haben, sondern weil wir begreifen, was wir doch nicht sehen können. Und das sollte die Kunst zuwege bringen: daß uns, in diesem Sinne, die Augen aufgehen."[4] Mit offenen Augen bewegt sich ein Ich durch Rom und blickt 'sehend' hinter die Kulissen der schönen alten Stadt.
Das Rom der Ingeborg Bachmann |
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Edition A•B•Fischer Text: Irene Fußl, Arturo Larcati Photographien: Angelika Fischer
Berlin 2015, 56 Seiten ISBN 978-3-937434-66-7
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