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Interpretationen - Reclam      Der Band enthält Interpretationen zu:  
NavigationshilfeAusfahrt [Christoph Michel]
NavigationshilfeDie gestundete Zeit [Christian Schärf]
NavigationshilfeFrüher Mittag [Leonard Olschner]
NavigationshilfeErklär mir, Liebe [Ingeborg Gleichauf]

NavigationshilfeReklame [Luigi Reitani]
NavigationshilfeSchwarzer Walzer [Mathias Mayer]
NavigationshilfeLiebe: Dunkler Erdteil [Erwin Petzi]

NavigationshilfeBöhmen liegt am Meer [Christine Ivanovic]
NavigationshilfeDer gute Gott von Manhattan [Christine Lubkoll]
NavigationshilfeDas dreißigste Jahr [Bettina Bannasch]
NavigationshilfeUndine geht [Ruth Neubauer-Petzoldt]
NavigationshilfeSimultan [Erika Greber]
NavigationshilfeDrei Wege zum See [Christine Kanz]
NavigationshilfeMalina [Sigrid Weigel]



Leseprobe...
Mathias Mayer (Hrsg.)
Werke
von Ingeborg Bachmann


Philipp Reclam jun. Verlag
[Universal-Bibliothek; Bd. 17517: Interpretationen]
Stuttgart 2002

260 Seiten - € 6,10
ISBN 3-15-017517-8
  Christian Schärf
Vom Gebrauch der »schönen Sprache«
Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit

Das Gedicht Die gestundete Zeit ist bei Bachmann kein Rätsel, das es zu lösen gälte, sondern ein Drama der ›schönen Sprache‹, das Drama ihres Gebrauchs im Gedicht. Die Verse zersetzen den hohen Ton, mit dem sie einhergehen, indem sie ihn strikt durchhalten. Sie destruieren damit nicht zuletzt die Anbindung solchen Sagens an die lyrische Tradition, an ihr Herkommen von ferne, aus dem Mythos, dem Orakel, dem Theater, an jede mythisch-metaphysische Medialität. Die Eingangs- wie die Ausgangssentenz: »Es kommen härtere Tage« hat am Beginn des Gedichts eine andere Wertigkeit als am Schluß. Sie ist durch die Ladungszonen unterschiedlicher Energiefelder gegangen und hat am eigenen Sprachleib erfahren, daß sie leer ist und nicht mehr zu halten. Nicht Utopie und Protest vereinigen sich hier zu einer starken schönen Sprache, vielmehr gleitet die Schönheit in die Haltlosigkeit einer verlorenen Stärke ab, in die Aussichtslosigkeit eines sich vollständig im Drama der Sprache vollziehenden Utopiezerfalls. [1]


Ingeborg Gleichauf
Ohne Grund
[Erklär mir, Liebe]

Bereits die Überschrift des Gedichts macht stutzig. Die Liebe wird aufgerufen, zu erklären. Was aber soll sie erklären? Normalerweise spricht man davon, daß einer einem anderen seine Liebe erklärt. In früheren Zeiten sagte man, wenn ein Mann eine Frau heiraten wollte: er hat sich ihr erklärt. Hier nun wird jedoch die Liebe selbst angesprochen, als sei sie eine Person, ein Du, an das sich das lyrische Ich wendet. Die Überschrift erzeugt eine große Spannung. Als Leser findet man sich unvermittelt in einem Bereich, der befremdet. Hat man wirklich ein Liebesgedicht vor sich?
In der ersten Strophe beschreibt das lyrische Ich, was es sieht, wenn es die Liebe betrachtet. Eine Luftgestalt ist es, leicht, fröhlich, einmal hier, einmal dort, nicht zu fassen. Eine Verbindung zum Himmel hat sie, indem sie den unbedeckten Kopf in Kontakt zu den ziehenden Wolken bringt. Immer ist die Liebe irgendwo anders, als man denkt. Kopf und Herz agieren nicht gemeinsam. Auch die Sprache der Liebe ist wechselnd, in vielen Ländern zu Hause.
[1]


Ruth Neubauer-Petzoldt
Grenzgänge der Liebe
Undine geht

Der Titel Undine geht ist aus einer anderen, auktorialen Perspektive formuliert als die Erzählung selbst und provoziert eine Irritation; er ist das erste dominante intertextuelle Signal für den Leser, die Leserin. Er läßt sich als Absage an die früheren Undinen-Figuren interpretieren, deren Vor-Bilder sich in dieser Undine spiegeln und die alle aus einer vorwiegend männlichen Perspektive geschildert werden. Dies sind vor allem die romantisch-märchenhafte Undine aus dem Kunstmärchen von Friedrich de la Motte-Fouqué (1811) sowie die des Dramas Ondine von Jean Giraudoux (1938, uraufgeführt 1939). In ihrer fünften Frankfurter Vorlesung über »Literatur als Utopie« definiert die Dichterin dieses intertexuelle Verfahren der Literatur, aus Tradiertem und Schon-Erzähltem Neues zu schaffen, was sie in dieser Erzählung produktiv und selbstreflexiv umsetzt: »So ist die Literatur, obwohl und sogar weil sie immer ein Sammelsurium von Vergangenem und Vorgefundenem ist, immer das Erhoffte, das Erwünschte, das wir ausstatten aus dem Vorrat unseres Verlangens - so ist sie ein nach vorn geöffnetes Reich von unbekannten Grenzen.« In Bachmanns Vision spricht sodann ausschließlich Undine selbst und keiner über sie. Undine nennt sich in dem Prosastück selbst nie beim Namen, sondern sie ist sich »selbstverständlich«; sie gibt sich vor allem durch die mit ihr verbundenen Motive des Wassers und der Grenzüberschreitung als Wassergeist und Elementarwesen zu erkennen, wie von Paracelsus beschrieben, als eine »Kunstfigur«, die die Welt der Menschen betritt und schließlich wieder verläßt und die die Grenze selbst zugleich auch in sich trägt: »die nasse Grenze zwischen mir und mir ...«. [1]

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Christian Schärf: Vom Gebrauch der "schönen Sprache". Ingeborg Bachmann: Die gestundete Zeit, S. 38f.; Ingeborg Gleichauf: Ohne Grund, S. 59f.; Ruth Neubauer-Petzoldt: Undine geht, S. 158f., in: Mathias Mayer (Hrsg.): Werke von Ingeborg Bachmann. Philipp Reclam jun. Verlag (= Universal-Bibliothek; Bd. 17517: Interpretationen), Stuttgart 2002.
Publikation der Leseproben mit freundlicher Genehmigung des © Philipp Reclam jun. Verlages, Stuttgart
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© Ricarda Berg, erstellt: Juni 2002, letzte Änderung: 26.02.2024
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg
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