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Christian Bielefeldt

Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann:
Die gemeinsamen Werke


Beobachtungen zur Intermedialität von Musik und Dichtung
       Literaturopern, schreiben Peter Petersen und Hans-Gerd Winter in ihrem Vorwort zu Opern nach Texten Georg Büchners, sind "Teil der produktiven Rezeptionsgeschichte eines Autors oder einer Autorin". Henzes Prinz von Homburg darf in diesem Punkt als geradezu idealtypisch gelten - das zeigt Petersen, indem er ihn als Beispiel heranzieht, das seine Definition des Literaturopernbegriffs veranschaulicht. Literaturoper als "Oper über Literatur": Quer zum erdrückenden Strom der patriotisch-nationalistischen Rezeption geschrieben, steht am Anfang Homburg in der Tat die Absicht, Kleists Schauspiel "neu und richtig zu benennen". So notiert Ingeborg Bachmann in ihrem Werkstattbericht Entstehung eines Librettos, der erstmals im Programmheft der Uraufführung abgedruckt ist. Während sie allerdings ihren eigenen Anteil daran herunterspielt, erklärt sie die Musik Henzes zum entscheidenden Vehikel dieser Neudeutung: "In dem neuen Werk, der Oper, erlöst ja der Komponist den 'bearbeiteten' Text zu einer neuen Gestalt, einer neuen Ganzheit". Die erklärte Absicht einer rettenden Re-Lektüre des kleistschen Homburgs gründet insgesamt jedoch weniger in ästhetischen als in politischen Kategorien. Entscheidend ist vielmehr, wie Bachmann berichtet, die Empfindungslage einer Generation, die in den letzten Kriegsjahren ihre Adoleszenz erreicht, in Zeiten der erfolgreichen ideologischen Vereinnahmung Kleists zum "Klassiker des nationalsozialistischen Deutschlands", und - in Bezug auf den Prinz Friedrich von Homburg - "Dichter des Preußentums, der Zucht, des Gehorsams" durch die nazistische Kulturpolitik. Es gilt, gegen das Bild eines nationalpatriotischen Kleist auch in den eigenen Köpfen anzuarbeiten; in ihrem Werkstattbericht geht es Bachmann darum nicht zuletzt auch um die Rehabilitierung der Person Kleist: "Vergessen wir nicht, dass derselbe Mann schrieb: 'Der Soldatenstand wurde mir so verhasst, dass es mir nach und nach lästig wurde, zu seinem Zwecke mitwirken zu müssen'. Aber Kleist ging noch weiter, sagte, es sei unmöglich, Offizier und Mensch zugleich zu sein."
     Das faschistische Kleist-Bild, das Ende der 1950er Jahre die Rezeption vor allem seiner Bühnenwerke noch immer nachhaltig determiniert, rückt Bachmann so mit sicherer Hand zurecht. Gegenüber dem Homburg selbst allerdings artikuliert sie auch eigene erhebliche Vorbehalte. Spielen die anfänglichen Bedenken bei Henze später kaum eine Rolle mehr, beginnt die Librettistin ihren Werkkommentar mit dem Bekenntnis: "Vor die Aufgabe gestellt, das Schauspiel 'Der Prinz von Homburg' einzurichten als Libretto, zögere ich".
     Im Kern wirft dieses Zögern die grundsätzliche Frage nicht nur nach der historischen Korrumpiertheit, sondern auch der Korrumpierbarkeit klassischer Dichtung auf, konkret nach den Anschlussmöglichkeiten, die der kleistsche Text für die nationalsozialistische Ideologie 'von sich aus' enthält. "Einer Generation zugehörig, die nicht nur dem Volk misstraute, das seine Klassiker politisch missbraucht hatte, sondern auch den Dichtern misstraute, deren Werke sich so missbrauchen hatten lassen", löst der Kanonendonner des Homburg für Bachmann zunächst einmal "die schlimmsten Assoziationen" aus. Über die Gegenüberstellung von Texten Bert Brechts und Heinrich Heines zum Homburg scheint diese gleichsam ins Unbewusste eingebrannte Verkettung von Dritten Reich, dem preußischen Militarismus des 19. Jahrhunderts und dem fiktiven Brandenburg Kleists noch zu bestätigen. Gleichermaßen ideologisch unverdächtig, bringen ihre äußerst gegensätzlichen Reaktionen genau jene Kleist-Bilder des national-patriotischen Preußens sowie des NS-Staats und seiner Kulturpolitik ins Spiel, mit der die Möglichkeit einer euphorischen Rezeption des Homburg in der Tradition Heines in der Tat genommen scheint. Ihre Hoffnung auf eine mögliche, gegen seine Rezeptionsgeschichte gerichtete Neu-Lektüre des Homburg muss Bachmann daher aus der Lösung dieser Verkettung ableiten. Unterstützung sucht und findet sie dabei bereits in den zitierten Texten selber. Denn berufen sich nicht irritierender Weise beide Autoren in ihrem grundsätzlichen Urteil explizit auf das Verhältnis des Schauspiels zum Staat, welches sich damit von Heine zu Brecht geradezu auf den Kopf stellt? Wenn Heines Brief das staatgefährdende Potential des kleistschen Textes durchscheint, das seine Aufführung in Berlin bis 1828 verhindert, auch dann noch zum vorübergehenden Verbot des Stücks durch Friedrich Wilhelm III. führt und von Heine enthusiastisch begrüßt wird, legt Brechts Sonnett (1939) gewissermaßen seine Verführbarkeit frei, die in der Möglichkeit besteht, ihn im Gegenteil eine apologetische Haltung zu kriegerischen Expansionismus und staatlicher Gewalt zu unterstellen.
     Die deutlich ausgestellten Zweifel Bachmanns erweisen sich hier als klug orchestriert. Sofern sie die zeitgeschichtlich geprägten Perspektiven auf den Homburg nicht negieren, sondern vielmehr dringlich artikulieren, sind diese gerade dadurch im nächsten Schritt selber in ihrer Deutungshoheit in Frage gestellt. Bestritten wird damit nicht die von Brecht betonte Kontinuitäten innerhalb der preußisch-deutschen Geschichte, die Bachmann nur implizit streift, aber ihre absolute Geltung als interpretatorische Matrix. Noch die Verkettung zwischen dem Homburg und den Kriegsverbrechen des Dritten Reichs erweist sich als Effekt der Vereinnahmung Kleists seitens der nazistischen Kulturpolitik. Dieser Effekt legitimiert die Skepsis Brechts und der Generation Bachmann und Henzes gegenüber ihrem kulturellem Erbe sowie das (zunehmende, 1959 gleichwohl öffentlich noch weitgehend tabuisierte) Bemühen um die Aufarbeitung darin enthaltener ideologischer Konstanten. Er darf aber nicht den Blick verstellen auf das Visionäre der kleistschen Konzeption, wie es Bachmanns Text beschwört: den "Freimut sondergleichen", den sie bei "allen Gestalten" des Schauspiels wahrnimmt, den "ständigen Lichteinfall der Sprache" in die durchweg zwielichtige Szenerie, schließlich die "Luft der Freiheit", die seine Figuren atmen, und die, "bedenken wir es wirklich, noch nie in einem Staatswesen geatmet worden ist". [1]
Christian Bielefeldt
[transcript] Verlag
Bielefeld 2003
kart. - 308 Seiten.
ISBN 3-89942-136-1
25,80 €
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
Vorwort [S. 9 - 13]
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[1] Aus dem V. Kapitel, Oper 1: Der Prinz von Homburg. Adaption als rettende Lektüre: Zum Libretto. In: Christian Bielefeldt:
  Hans Werner Henze und Ingeborg Bachmann: Die gemeinsamen Werke. Beobachtungen zur Intermedialität von Musik und
  Dichtung. transcipt Verlag Bielefeld 2003, S. 171 - 173ff.
  Ich danke dem © [transcript] Verlag für die freundliche Genehmigung zur Veröffentlichung des Textes auf meiner Website.
    © Ricarda Berg, erstellt: Juli 2004, letzte Änderung: 24.02.2024
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