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Matthias Bormuth  

Im Frühsommer 1948 traf Ingeborg Bachmann in Paul Celan ihre große Liebe, ohne die sie als Lyrikerin und Person kaum zu denken ist. In dem deutsch-jüdischen Poeten fand ihr Leben für Augenblicke den Ort seiner umfassenden Verdichtung. Celan war - anders als seine Familie - der Lagerwelt gerade noch entkommen. In Wien konnte sein erster, von den traumatischen Ereignissen geprägter Gedichtband Der Sand aus den Urnen erscheinen. In den Wiener Boheme-Kreisen, in denen Celan eine außergewöhnliche Erscheinung bildete, kam es rasch zur Verbindung der beiden, über die Bachmann auch der Familie salopp berichtete. Aber ihre Passion blieb im Kern ein geheimnisvolles Ereignis, das sich auch in Celans Gedichten niederschlug: Schon das erste Gedicht "In Ägypten", das sie nach dem kurzen Frühling ihrer Liebe vor seiner Abreise nach Paris Ende Juni 1948 erhielt, zeugt von der enormen Aufladung ihrer Liebe. Celan stilisiert die Geliebte im biblischen Ton als "Fremde" und zugleich als Mittlerin zu den jüdischen Opfergestalten:

"Du sollst zum Aug der Fremden sagen: Sei das Wasser.
 Du sollst, die du im Wasser weißt, im Aug der Fremden suchen.
 Du sollst sie rufen aus dem Wasser: Ruth! Noëmi! Mirjam!
 Du sollst sie schmücken, wenn due bei der Fremden liegst."
Von Paris aus, wo Celan als Lektor für Deutsch vorerst in einem kleinen Hotelzimmer lebte, regte sich mit der Zeit der Zweifel, ob Bachmann diese Erwartungen wirklich erfüllte, ob sie dem zugedachten Idealbild gerecht werden könnte. Die Geliebte schien, nachdem er ihr zur Zeit ihres Pariser Wiedersehens im Winter 1950/51 einen Ring aus dem Besitz seiner weiblichen Familienmitglieder geschenkt hatte, im Jahr darauf des Schmuckes nicht mehr würdig zu sein. Empört antwortete Bachmann in einem nicht abgeschickten Schreiben: "[I]ch habe Dir nichts zu sagen, als dass mein Gewissen vor den Toten, die diesen Ring getragen haben, besteht. Ich habe ihn als Geschenk von Dir genommen und getragen oder verwahrt, immer in dem Wissen um die Bedeutung."
In der Folgezeit warb Bachmann heftig um Celans Zuneigung. So heißt es Ende 1951 in einem Brief: "Ich weiss nicht, ob Du spürst, dass ich niemand habe ausser Dir, der meinen Glauben an das 'Andere' befestigt, dass meine Gedanken Dich immer suchen, nicht nur als den liebsten Menschen, den ich habe, sondern auch als den, der, selbst verloren, die Stellung hält, in der wir uns verschanzt haben." Aber Celan antwortet am Ende des Winters nüchtern: "Wir wissen genug voneinander, um uns bewusst zu machen, dass nur die Freundschaft zwischen uns möglich bleibt. Das Andere ist unrettbar verloren."
Als Bachmann 1952 dafür gesorgt hatte, dass Hans Werner Richter Celan zur Tagung der Gruppe 47 in der Nähe von Lübeck einlud, spitzten sich die Dinge zu. Die dortige Lesung der "Todesfuge" führte zu vielfachen Irritationen, die sich besonders an der rhetorisch aufgeladenen Deklamation entzündeten. Es zeigte sich, wie sehr die "Stunde Null" ein oberflächliches Postulat einer Generation war, die erst Jahrzehnte später die eignene Verstrickungen in die Zeit widerwillig anerkennen sollte. Auch persönlich wurde es dramatisch, da Celan gestand, er wolle in Paris bald heiraten. Bachmanns ernüchterter Brief vom Juli dieses Jahres ist beredt: "Ich weiss nicht, ob es Dir bis heute bewusst geworden ist, was Du mir gesagt hast, zu einem Zeitpunkt, wo ich ganz entschlossen war, zu Dir zu kommen, Dich wiederzugewinnen, mit Dir in den 'Urwald' zu gehen, in welcher Form immer, und ich verstehe nur nicht, warum Du ein paar Stunden oder Tage später, nachdem ich schon wusste, dass Du zu jemand anderem gehst, mir vorwerfen konntest, dass ich in diesem deutschen 'Urwald' nicht bei Dir gewesen sei."
Der vorläufige Bruch war nicht mehr rückgängig zu machen. Bachmann hatte schon 1951 die innere Ambivalenz angesichts dieser großen Liebe zum Ausdruck gebracht: "Ich fange ja langsam zu verstehen an, warum ich mich so sehr gegen Dich gewehrt habe, warum ich vielleicht nie aufhören werde, es zu tun. Ich liebe Dich und ich will Dich nicht lieben, es ist zuviel und zu schwer". Celan hülte sich weiterhin in Schweigen, auch als Bachmann ihm im Dezember 1953 ihren Gedichtband Die gestundete Zeit zusandte.
Erst als beide im Herbst 1957 zufällig gemeinsam nach Wuppertal eingeladen wurden, wo man sich im kleinen Kreis mit Hans Magnus Enzensberger, Peter Huchel, Walter Jens und Hans Mayer austauschte, schmolzen bei Celan alle inneren Vorbehalte. Seine beiden glühenden Liebesbriefe jener Zeit, die Bachmann über Jahrzehnte in ihren Papieren versteckt halten sollte, sprechen für sich. Celan warb nun erneut um ihre Liebe, bereit, seine Frau und den 1955 geborenen Sohn Eric zu verlassen: "Ich habe das Gisèle alles gesagt, alles. Sie weint." Er fragte am 16. Oktober 1957: "Liebst Du mich wirklich, Ingeborg, kannst Du mich wirklich noch lieben nach all dem? Sag's mir. Du bist überall in meinen Gedichten, auch da, wo Du nicht zu sein scheinst." Am Tag darauf heißt es drängend: "Willst Du, daß ich Ende November zu Dir komme? Oder früher? Oder später? Ich schicke Dir ein paar Gedichte, Ingeborg, lies." Täglich gingen bei Bachmann nun Sendungen ein, unter anderem jenes Gedicht, das den Ort ihrer nächtlichen Liebe im Titel "Köln, Am Hof" trägt. Es verdichtet ihre Utopie im Sinne Musils:
"Herzzeit, es stehn
die Geträumten für
die Mitternachtsziffer.
Einiges sprach in die Stille, einiges schwieg,
einiges ging seiner Wege.
Verbannt und Verloren
waren daheim."
Bachmann reagierte auf die Flut der zugesandten Gedichte am 28. Oktober zuerst mir einem nüchternen Telegramm: "ICH WERDE HEUTE SCHREIBEN ES IST SCHWER VERZEIH / INGEBORG". Drei Tage später fasst Celan nochmals in Prosa, was seine Poesie in vielen Klängen hatte hören lassen: "Ich weiß ja nicht, was all das bedeutet, weiß nicht, wie ichs nennen soll, Bestimmung, vielleicht, Schicksal und Auftrag, Namensuche hat keinen Sinn, ich weiß, daß es so ist, für immer. [...] Du weißt auch: Du warst, als ich Dir begegnete, beides für mich: das Sinnliche und das Geistige. Das kann nie auseinandertrete, Ingeborg." Nun war Bachmann bedacht, die eigene Unabhängigkeit vor diesem großen Anspruch zu schützen. Diplomatisch klug spricht ihr Brief vor allem die menschliche Rücksichtnahme auf Celans Frau Gisèle an, eine junge Aristokration, die sich für ihre Lieben zu dem Dichter mit der Familie überworfen hatte: "Wenn ich an sie und das Kind denken muß - und ich werde immer daran denken müssen - werde ich Dich nicht umarmen können. Weiter weiß ich nichts. Die Ergänzung, sagst Du, muß heißen 'Ins Leben'. Das gilt für die Geträumten. Aber sind wir nur die Geträumten? Und hat eine Ergänzung nicht immer stattgehabt, und sind wir nicht schon verzweifelt im Leben, auch jetzt, wo wir meinen, es käme auf einen Schritt an, hinaus, hinüber, miteinander?" [1]


Die Verunglückten. Bachmann, Johnson, Meinhof, Améry.
 
Matthias Bormuth: Die Verunglückten. Bachmann, Johnson, Meinhof, Améry.

Externer LinkBerenberg Verlag
Berlin 2019
248 Seiten
ISBN 978-3-946334-62-0
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
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[1] Aus dem Kapitel: Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar. Ingeborg Bachmann, in:
  Matthias Bormuth: Die Verunglückten. Bachmann, Johnson, Meinhof, Améry. Berenberg Verlag, Berlin 2019, S 80 - 84.
  Berenberg Verlag, Berlin 2019, S 80 - 84.
  Mein Dank geht an den Autor und dem © Berenberg Verlag für die freundliche Genehmigung zur Publikation.
    © Ricarda Berg, erstellt: März 2024, letzte Änderung: 10.03.2024
http://www.ingeborg-bachmann-forum.de - E-Mail: Ricarda Berg